Die Pont du Gard
von Jonas Stämpfli
In
schwindelerregender Höhe - fast 50 Meter über dem Wasserspiegel - überbrückt
der Kanal des Aquädukts das tief eingeschnittene Tal des Gardon. Einst floss in
der überdeckten Rinne Wasser für die römische Stadt Nemausus (heute Nîmes).
Im
Gegensatz zu einer benachbarten Brücke jüngeren Datums hat das Bauwerk seit über
2000 Jahren den reissenden Fluten standgehalten. 19 v. Chr. wurde die 273 m
lange Brücke gebaut.
Heutigen Berechnungen zufolge flossen pro Tag 20'000 – 30‘000 m3
bestes Trinkwasser nach Nemausus. Bei genauerer Betrachtung der
auftretenden technischen
Probleme verblüfft diese Leistung um so mehr, wenn man sich vor Augen hält,
dass die Römer nicht im stande waren, die auftretenden Kräfte und die späteren Belastungen
auszurechnen. An Stelle der Berechnungen traten Erfahrungswerte und hohe
Sicherheitszuschläge.
In der späten römischen Republik und im Kaiserreich hatte die römische
Baukunst ihren Höhepunkt erreicht und sich über den gesamten mediterranen
Kulturbereich ausgedehnt. Die bescheidenen Anfänge der römischen Kultur und
damit der Baukunst waren erst im 6. Jh. v. Chr. bemerkbar geworden. Zu einer
Zeit, als andere Völker des Mittelmeerraumes schon hoch entwickelte
Kulturleistungen aufzuweisen hatten.
Zu der Zeit, als die griechische Steinarchitektur in höchster Blüte
stand, zeigten sich die ersten Regungen einer römischen Kultur, die sich aus
bodenständigen Traditionen der Villanovakultur und der etruskischen Kunst
herauszulösen begann.
Die altrömische, stark etruskisch beeinflusste Mythologie, wurde bald
durch die griechische Götterwelt bereichert.
Die ersten Tempel Roms waren noch etruskisch. Nachdem die Römer den
letzten etruskischen König vertrieben hatten, übernahmen sie die griechische
Baukunst mit Tempeln, Theatern und Palästen in Architektur und Bauweise und
konnten ihr schon bald eigenen Formen und Ausdrucksmittel hinzufügen. Eine
eigenständige römische Baukunst war erreicht, als die Römer begannen, eigene
Raumtypen zu entwickeln.
Beispiele hierfür sind Basiliken, Amphitheater, Foren, Triumphbögen und vor
allem technische Nutzbauten, wie gigantische Aquädukte, gewagte Brücken und
beeindruckende Hafenanlagen.
Die ständig wachsenden Anforderungen an das Bauwesen im gesamten
Imperium veranlassten die römische Ingenieure, neue wirtschaftliche und
zeitsparende Bauweisen zu entwickeln und sich mit technische Problemen und den
Einflüssen der Natur auseinanderzusetzen.
Der von den Römern erfundene wasserfeste Beton war neben dem Naturstein der
bedeutendste Baustoff für die Erfüllung der großen Aufgaben des römischen
Bauwesens.
Exkurs Wasserverehrung
In der frühen römischen Republik schöpften die Römer ihr Wasser aus
Quellen und Flüssen oder sammelten Regenwasser in Zisternen. Das Wasser in all
seinen Erscheinungsformen verehrten sie als freundliche Gabe der göttlichen
Natur. Nach ihren Vorstellungen wohnten in den Quellen Nymphen, die von der Bevölkerung
in kultischen Riten verehrt und mit Votivgaben beschwichtigt wurden.
Zu Flüssen hatten die Römer ein religiöses Verhältnis. Er war seinem Wesen
nach mehr als nur ein Naturelement und wurde als Gottheit verehrt. Kein Römer
betrat gedankenlos einen Fluss, ohne sich vorher die Hände zu reinigen und ein
Gebet zu verrichten.
Beginn des Baus von überirdischen Wasserleitungen
Nachdem Ägypten besiegt war, hatte Rom keine Feinde mehr und eine lange
Friedensperiode begann, der Pax Romania.
Für die Wasserversorgung konnten nun auch weit entfernt liegende Quellen
in Anspruch genommen werden. Auch wenn die Trasse tiefe und ausgedehnte Täler
überwinden musste, denn feindliche Überfälle und Zerstörung der
Wasserleitungen waren nicht mehr zu befürchten.
Die Wasserversorgungssysteme bestehen aus drei Funktionselementen.
-
Die Wasserfassung, die das Quell- oder Flusswasser in den Kanal einzuführen
hat
-
Der Kanal, überirdisch oder unterirdisch verlegt, der im freien Gefälle
das Wasser zur Stadt leitet
-
Das Wasserkastell, welches das Wasser über das städtische Leitungsnetz
auf die einzelnen Versorgungsbereiche verteilt
Kein Bauwerk dieser Wasserleitungen war so charakteristisch für die römische
Baukunst, wie die in der Antike und heute so bewunderten, grandiosen
Bogenreihen, der Aquädukte.
Der Feldherr Agrippa (63-19 v.Chr.), erhielt wahrscheinlich von seinem
Schwiegervater, dem Kaiser Augustus den Auftrag, eine 50 Kilometer lange
Wasserleitung von einer
Quelle
bei Uzès bis zum städtischen Wasserschloss zu bauen.
Die eindrucksvolle Pont du Gard
der römischen Wasserleitung nach Nemausus ( Nimes ) ist die am besten erhaltene
Kanalbrücke aus römischer Zeit und mit einer Höhe von 48,7m der höchste Aquädukt.
In der Regel baute man die Bögen mit Spannweiten von 4,5 bis 5,2m. Die Bögen
des Pont du Gard haben in den unteren Stockwerken jedoch Spannweiten von 15,5
bis 24,5m.
Der römische Steinbogen
Ein bis dahin unbekanntes Tragsystem waren die Steinbögen. Ein
Halbkreisbogen aus Steinblöcken mit radialem Fugenschnitt überträgt die Last
des Bogens durch die Radialfugen zum Kämpfer. Die römischen Brückenbauingenieure
haben mit dem etruskischen Bogen, dem griechischen opus quadratum und dem römischen
opus caementitium ein Steinbrückensystem hoher Vollendung geschaffen, dass weit
über das Altertum hinaus in ganz Europa die Grundlage des Brückenbaus geworden
ist.
Sie
erkannten die Kraftlinien im Bogen, wo Eigenlast und Verkehrslast in die Bogenstützlinie
umgelenkt werden und im Kämpfer auf den Pfeiler treffen.
Man hat schon früh erkannt, dass der Schlankheitsgrad des Bogens, nämlich
das Verhältnis von Bogendicke zu Bogenspannweite ein wichtiges Kriterium zur
Beurteilung der Standsicherheit ist und Grundlage zur Bemessung sein kann. Die
ältesten Steinbrücken im 2. Jh. v. Chr. hatten noch ein Schlankheitsverhältnis
von 1:8,2 . Bereits im 1. Jh. n. Chr. erreichte man ein Verhältnis von 1:17,
aber nach der Zeitenwende zeigen die Brücken oft ein Standartverhältnis von
1:10 .
Das Mauerwerk
Das gesamte Mauerwerk ist in opus quadratum mit sorgfältig behauenen,
großen Steinquadern in gleich hohen Schichten ohne Mörtel ausgeführt worden.
Als Verbindungsmittel ließ man neben der Reibung lediglich schwalbenschwanzförmige
Dübel aus Eichenholz zu. Lediglich das Kanalbauteil wurde aus kleineren,
behauenen Steinen im Mörtelbett hergestellt. Die Sohle des Kanals wurde
betoniert und erhielt einen Ziegelspritz-putz.
Eine neue Konstruktion ist in den großen Gewölben der beiden unteren
Stockwerke festzustellen. Die Gewölbesteine bis zur 5. bzw. 6. Lage über den Kämpfern
wurden wie üblich im Verband gesetzt. Darüber bestehen die Gewölbe aus vier,
im zweiten Stockwerk aus drei selbständigen, nebeneinander stehenden Bögen
ohne Verbund. Der Grund ist wohl im Lehrgerüst zu suchen, das nur jeweils für
einen Bogen hergestellt werden musste und nach Fertigstellung des ersten Bogens
zum zweiten weitergeschwommen wurde. Das Abweichen von der Allgemeinen
Verbundregel konnte nur bei exakter Bearbeitung der Bogensteine riskiert werden.
Trotz des fehlenden Verbundes überdauert das Bauwerk bis heute.
Auffallend
sind die an der Aussenfront der Pfeiler hervortretenden Kragsteine. Sie sind
tief im Pfeiler verankert und trugen während der Bauzeit die Gerüste.
Bei anderen Bauwerken wurden diese Steine nach der Fertigstellung
abgeschlagen. An dieser Brücke ließ man sie jedoch dran um im Falle einer
Reparatur ein Gerüst ansetzen zu können.
Beim Bau sollen 800 bis 1000 Arbeiter mehr als drei Jahre beschäftigt
gewesen sein.
Bautechnik
Die architektonische Geschicklichkeit der Römer wurde im Mittelalter mit übernatürlichen Konnotationen verknüpft. Da es in dieser Zeit unmöglich geworden war, deratige Bauwerke zu konstruieren, galten diese dem abergläubischen Volksmunde als "Teufelsbrücken".
Eine besondere Leistung der Brückenbauer war die Gründung der Pfeiler inmitten des Flusses. War es nicht möglich, den Fluß mit einem Damm vorübergehend umzuleiten, schufen die Arbeiter an der vorgesehenen Stelle eine künstliche Insel. Dazu wurden Spundwände, aus Holzplanken zusammengebaute, möglichst wasserdichte Zylinder. die bis unter den Grund des Flusses reichten, gesetzt, meist gleich zwei ineinander. Der Zwischenraum wurde mit wasserundurchlässigem Ton ausgefüllt. Jetzt wurde das Wasser aus der Mitte rausgepumt beziehungsweise geschöpft. In weichen Untergrund wurden dann dicht an dicht zugespitzte Eichenstämme von mehreren Metern Länge und bis zu 40 Zentimeter Durchmesser eingerammt und dicke Holzbohlen daraufgenagelt, die das eigentliche Fundament bildeten.
Bei felsigem Untergrund wurde dieser nur gesäubert und die Steinquader mit wasserfestem Beton daraufgemauert. Dieses "opus caemantitium" war ein Gemisch aus gebranntem Kalk und einer vulkanischen Asche, die nahe dem Ort Putteoli am Vesuv abgebaut wurde. Der damti hergestellte Mörtel härtete selbst unter Wasser und ermöglichte Pfeilergründungen, die dauerhaft den Strömungen widerstanden.
Nebenbei bemerkt war ein solches betonähnliches Gemisch nach dem Untergang des römischen Imperiums wieder völlig unbekannt und wurde erst im 18. Jh. "wiedererfunden"!
Besonders
schwierig war es, die Leitung in gleichmäßigem Gefälle aus dem Gebirge über
Taleinschnitte zu führen. Vermessungs- und Rechenarbeit waren erforderlich,
denn der Höhenunterschied beträgt insgesamt nur 17m:
Das bedeutet ein
durchschnittliches Gefälle von lediglich 0,035 % !
Für den Aquädukt (den Teil, der nicht im Wasser steht) verwandte man
groben, gelben Muschelkalk, der sich in feuchtem Zustand leicht bearbeiten lässt
und nach der Lufttrocknung sehr hart wird.
Grosse Steine wurden bereits im Steinbruch fertig behauen. Damit man auf der
Baustelle wusste, wohin der Stein kommen soll, erhielt er eine
Schriftmarkierung, die seinen Platz im Gewölbe bestimmte.
An Werkzeugen standen den Handwerkern Meissel, Schlegel, Winkel,
Wasserwaage und Schaufel zur Verfügung. Zum Verladen im Steinbruch und auf der
Baustelle hatte man Kräne mit Flaschenzügen. Eine Hebelzange am Kran
erleichterte das Anheben der Blöcke. Für das Heben und Versetzen der bis zu 6
t schweren Steine wurden die leistungsfähigsten Kräne herangeholt.
Geometrie
Wie bei allen römischen Aquädukten sind auch die Bögen der Pont du
gard Halbkreisbögen. Die Bogenspannweiten der ersten und zweiten Ebene nehmen
vom Hauptbogen über dem Fluss nach beiden Seiten in einem bestimmten Rhythmus
ab. Der grösste Bogen hat eine Spannweite von 24,4 m. Die nächsten drei Bögen
spannen über 19,5 m und die äusseren über 15,5 m.
Da die Scheitel in jedem Stockwerk auf gleicher Höhe liegen, steigen die Kämpferhöhen
zu den Talhängen an. Durch die abnehmenden Bogengrössen unter Beibehaltung der
Scheitelhöhen vermitteln dem Betrachter eine lebendige Perspektive.
Die Bogendurchmesser sind so gewählt, dass sie eine rhythmische Zahlenreihe
bilden. Die Verhältniszahl ist 1,25.
Die Akribie, mit der die riesigen Steinquader ohne Mörtel versetz
wurden, zeigt das opus quadratum in meisterhafter Vollendung. Die sich aus den
grossformatigen Quadern ergebende Struktur und die demonstrativ belassenen
Kragsteine schaffen eine ehrliche Architektur, die nichts verbirgt.
Jean Jacques Rousseau schrieb einmal:
,, Einsam steht das Werk in der ernsten Landschaft mit felsigen Ufern und
dem bis an das Wasser herabhängenden Baumwuchs majestätisch da, als
Wahrzeichen einer großen Vergangenheit und einer dankbaren Gegenwart ."